Die Geschichte der Erforschung der ungarndeutschen Mundarten der Nachkriegszeit bzw. Stand und Aufgaben der ungarndeutschen Dialektologie wurden bereits öfters von Claus Jürgen Hutterer bearbeitet. Die erste Zusammenfassung stammt aus dem Jahr 1960.1 Sie bietet einen siedlungsgeschichtlichen Überblick, behandelt die wichtigsten Perioden der Erforschung des ungarländischen Deutschtums (Mittelalter, Humanismus, Aufklärung, 19. und 20 Jh.), es werden auch jene Gebiete in die Forschungsgeschichte einbezogen, die seit Ende des ersten Weltkrieges nicht mehr zu Ungarn gehören (Zips und Siebenbürgen) und auch die weiteren Aufgaben der Forschung bestimmt. Eine ungarische Zusammenfassung der Probleme stammt ebenfalls von Hutterer.2 1971 berichtete er über die Forschungsarbeit der Germanisten in Ungarn, wo auch der ungarndeutschen Mundartforschung, besonders dem neuen Anfang nach 1945 mehrere Seiten gewidmet werden.3 1965 berichteten Karl Mollay und Claus Jürgen Hutterer in Marburg über die deutsche Mundartforschung in Ungarn, über die drei Projekte, deren Verwirklichung sich die ungarndeutsche Dialektologie bzw. Germanistik zum Ziel setzte: über den Ungarndeutschen Sprachatlas (UDSA), das Wörterbuch der ungarndeutschen Mundarten (WUM) und das Wörterbuch des Frühneuhochdeutschen (WFnhd) in Ungarn.4 Über die deutsche Volksgruppe in Ungarn liegt sowohl in ungarischer als auch in deutscher Sprache ein Bericht vor,5 bereits im Druck ist ein Forschungsbericht über die Erforschung der germanischen Sprachen in Ungarn seit 1945 von Karl Manherz.6
Die Erforschung der ungarländischen deutschen Mundarten, ihre wissenschafdiche Wichtigkeit wurden bereits mit dem Vortrag von Gideon Petz an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften am Anfang unseres Jahrhunderts erkannt.7 Petz hat damals die wichtigsten Aufgaben der Forschung festgelegt. Vor dem ersten Weltkrieg, aber besonders in den Nachkriegsjahren sind dann Arbeiten über deutsche Mundarten, über Volkskunde in großer Zahl, meistens aber nur in ungarischer Sprache erschienen. Diese begnügten sich aber mit einer Materialsammlung (im positivistischen Sinne), mit der Einordnung der jeweiligen Mundart ins System der deutschen Mundarten im damaligen Reichsgebiet. Hauptziel war in den meisten Arbeiten die Suche nach der „Urheimat". Dadurch wurde die ganze Mundartforschung irgendwie als Hilfswissenschaft der Geschichte betrachtet, konnte aber keine Geschichtswissenschaft im engeren Sinne werden. Es wurde vieles über die einzelnen Ortsmundarten geschrieben, es fehlten aber die zusammenfassenden Arbeiten, die auch die Wirkung der verschiedenen Triebkräfte in der Entwicklung der Mundarten untersucht hätten. Die neue, sprachgeographisch bestimmte Schule entstand unter der Leitung von Heinrich Schmidt in Segedin/Szeged.8 Er hat aber das Wesentliche an der Sprachgeographie nicht erkannt: zusammenhängende Sprachlandschaften konnte er nur durch die Siedlungsgeschichte erklären, hat aber die innere Entwicklung der Mundarten nicht beachtet. Entdeckte er Ähnlichkeiten der Mundarten in einem zusammenhängenden Raum, so konnte das nur mit der gemeinsamen „Urheimat" erklärt werden. Diese Suche nach der Urheimat bzw. die Definition der ungarländischen deutschen Mundarten nach dem System im damaligen deutschen Reich war bis zum zweiten Weltkrieg charakteristisch für die Forschung. Auch die späteren Zusammenfassungen von Johann Weidlein sind durch die sprachgeographische Schule von Schmidt bestimmt.' Was die praktische Arbeit betrifft, leistete die Mundart- und Geschichtsforschung bis 1945 viele Beiträge zur komplexen Erforschung des Ungarndeutschtums, das war aber nicht der Fall auf dem Gebiet der Theorie. (Vgl. die Arbeiten der Reihe „Német Nyelvészeti Tanulmányok = Arbeiten zur Deutschen Sprachwissenschaft")In den 50er Jahren mußte eigentlich neu angefangen werden.
Die Erforschung der ungarndeutschen Mundarten konnte in der Nachkriegszeit eine Zeit lang nicht mit derselben Intensität geführt werden wie in den 30er Jahren. Aus dem Jahr 1947 haben wir zwar bereits eine Dissertation von Julius Gottfried Schweighoffer,'" aber der eigentliche Neubeginn der Forschungen ist eng mit der Tätigkeit von Claus Jürgen Hutterer verbunden. In den 50er Jahren war es noch Karl Mollay, der versuchte, junge Forscher der ungarländischen Germanistik, so auch der Mundartforschung, zu gewinnen. Schließlich wurde die ungarländische Germanistik auch von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gefördert, zwei Forscher hatten die Möglichkeit, auf dem Gebiet der Mundartkunde (Claus Jürgen Hutterer) und der deutschen Sprachgeschichte (Sándor Gárdonyi) tätig zu werden. Hutterer hat sich eine Synthese der deutschen Mundarten im Ungarischen Mittelgebirge zum Ziel gesetzt, und da die Voraussetzungen in Budapest nicht gegeben waren, wurde er zu einem der hervorragendsten Kenner der deutschen Mundartforschung und der Sprachsoziologie, zu Viktor Schirmunski nach Leningrad entsandt, der die Betreuung der Arbeit übernahm. 1959 war es dann soweit, daß die Forschung und die Nachwuchsbildung institutionell organisiert wurden. Bei der Vorbereitung der wissenschaftlichen Perspektivpläne des Landes wurden der Ungarndeutsche Sprachatlas und das Wörterbuch der ungarndeutschen Mundarten u. a. als Zielaufgaben in den Vordergrund gerückt. Die Pläne wurden von Claus Jürgen Hutterer noch im selben Jahr ausgearbeitet und — nach der Zustimmung des Instituts für Sprachwissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften — der Germanistischen Kommission des Rates für Wissenschaft und Hochschulunterricht unterbreitet.11 Nach der Annahme der Pläne wurden diese Arbeiten auf Anregung des Vizepräsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Wolfgang Steinitz, bereits im Herbst 1960 in das Kulturabkommen der Ungarischen und der Deutschen Akademie der Wissenschaften eingegliedert. Mit der Leitung der Verwirklichung der Planarbeiten wurde Claus Jürgen Hutterer im Rahmen seiner Arbeitsstelle, des Instituts für deutsche Sprache und Literatur der Universität Budapest, beauftragt. Die Finanzen dieser Arbeiten lagen damals beim Ministerium für Bildungswesen, während die wissenschaftliche Aufsicht von der Ungarischen Akademie der Wissenschaften besorgt wurde. Die Weiterführung der Arbeit wurde aufgrund vier- bzw. fünfjähriger wissenschaftlicher Pläne verwirklicht.
1963 erschien als Band 24 der Mitteldeutschen Studien in Halle/Saale eine historische Lautgeographie der deutschen Mundarten in Mittelungarn von Claus Jürgen Hutterer. Sowohl für die theoretische als auch für die praktische Arbeit der ungarndeutschen Dialektologie war dieses Buch grundlegend. Mit komplexer Methode werden Landeskunde, Landesgeschichte und Forschungsgeschichte eines zusammenhängenden Sprachraumes behandelt, wobei der Hauptteil, die historische Lautgeographie auch eine Wortbildungslehre der deutschen Mundarten enthält. Interethnische und soziologische Aspekte, Generationsmerkmale, Zweisprachigkeit und Interferenz werden weitgehend beachtet. Auch für die ungarische Sprachwissenschaft, besonders was die Erforschung der deutschen Lehnwörter im Ungarischen betrifft, enthält das Buch reiches Material. Mit dem ergänzenden Kartenwerk kann dieses Werk als Vorarbeit eines regionalen Sprachatlasses im nordöstlichen Transdanubien betrachtet werden. Neben dieser „praktischen" Leistung der ungarndeutschen Mundartforschung wurde auch theoretisch gearbeitet. Der Aufsatz Sieben Thesen zur Dialektforschung war für die weiteren Arbeiten besonders ausschlaggebend. Besonders Hutterers zweite These: „Die Mundart ist ein in sich faßbarer, auch nach ihrem eigenen System erklärbarer Komplex, mit einem strukturakstischen Terminus: ein eigenständiges Korpus, dessen Erforschung letzten Endes auch methodologisch der Erforschung sonstiger Korpora ähnlicher Rangordnung gleichgesetzt werden kann."14 Systemforschung wird vom Verfasser gefordert, sowie Fragen der Synchronie und Diachronie werden ausführlich behandelt.
Vergleicht man die Rolle der germanistischen Lehrstühle der ungarländischen Universitäten in der Vor- bzw. Nachkriegsperiode, so läßt sich weiterhin die führende Rolle der Budapester Germanistik beobachten. Nicht nur deshalb, weil die Pläne zur Erforschung der ungarndeutschen Mundarten hier ausgearbeitet wurden, sondern weil auch die individuellen Arbeiten zu diesen Themen in großer Zahl von den Budapester Germanisten stammen. Karl Mollay arbeitete auf dem Gebiet der Namenkunde der Ungarndeutschen, besonders was das historische Material — vor 1686 - betrifft,15 während Stand und Aufgaben der ungarndeutschen Namenforschung von 1686 bis zur Gegenwart von Hutterer zusammengefaßt wurden.16 Auf diesem Gebiet hatte die ungarndeutsche Mundartforschung bzw. die ungarndeutsche Onomastik besonders große Schulden abzutragen. Im Vergleich zur ungarndeutschen Sprachforschung zwischen 1686-1980 ist die Zahl der namenkundlichen Arbeiten bzw. Vorarbeiten sehr gering. Außer den Arbeiten von Elmar Schwartz und Elemér Moor über die Ortsnamen Westungarns bzw. des Burgenlandes sind es fast nur die Abhandlungen und Aufsätze Otto Peterdis über den nordwestlichen Buchenwald und das Plattenseeoberland bzw. die von Johann Weidlein über das südliche Transdanubien — immerhin aus der jüngsten Zeit -, sowie einige monographische Darstellungen, welche die Gassennamen von Ofen und Fünfkirchen behandeln. Mit ungarndeutschen Namen der Neuzeit haben sich an Hand einzelner Teilfragen Friedrich Zimmermann und Anton Tafferner beschäftigt. Eugen Bonomis Mitteilungen über die an Namen gebundenen Legenden und Ortsneckereien (besonders was seine letzten Veröffentlichungen betrifft) sowie den sathmarschwäbischen Veröffendichungen von Hugo Moser verdanken wir sehr Wichtiges. Martin Arató-Albecker hat die Flurnamenbearbeitung aus zwei Ortschaften der Ofner Gegend geliefert.17 „Im Hinblick auf die Theorie hat die ungarndeutsche Namenforschung der Vorkriegszeit fast Bleibenderes erzielt als die Dialektologie, da sie im Gegensatz zu den Mundartforschungen alten Schlags von ihrem Stoff gezwungen war, aus der Not eine Tugend zu machen, und anstatt der Suche nach der »Urheimat« die interethnischen Beziehungen innerhalb der neuen Heimat aufs Korn zu nehmen."18 Hutterer behandelt in seiner Zusammenfassung erstens die besonders vernachlässigten Gebiete der ungarndeutschen Namenforschung: Personennamen, Übernamen, Haus- und Hofnamen, Tiernamen, geograpische Namen (neue deutsche Namen, Doppelnamen, Übersetzungsnamen, lautliche Eindeutschungen, bewußte Namenschöpfung) und gibt auch wichtige Gesichtspunkte zur weiteren Forschungsarbeit an. So sollte die ungarndeutsche Onomastik in erster Linie 1) zur Aufhellung der Geschichte eingegangener Siedlungen, 2) zur Klärung alter Siedlungsvorgänge und agrarhistorischer Tatsachen bzw. Besitzverhältnisse, 3) zur Klärung der Herkunftsgeschichte der einzelnen Siedlergruppen der Deutschen beitragen. Angesichts des bisher bearbeiteten Materials ist die ungarndeutsche Onomastik noch eine Grundlagenforschung. Es wurden bereits einige Teilarbeiten veröffendicht: Noch im selben Jahr erscheint in der Zeitschrift Acta Linguistica von Irene Pogány ein Studie über Deutsche und ungarische Bergnamen in Ofen nach den Türkenkriegen.19 Es ist eine Untersuchung der Bergnamen von Ofen nach Inhalt und Morphologie. Die Verfasserin bietet auch eine Namentypologie an. Irene Pogány hat auch die deutschen und ungarischen geographischen Namen im Ofner Bergland und im Pester Vorland gesammelt.20 Die geographischen Namen von einzelnen ungarndeutschen Siedlungen wurden in verschiedenen Dipolarbeiten und Dissertationen bearbeitet, von denen einige bereits im Druck erschienen sind. So zum Beispiel die geographischen Namen im Pilisch-Gebirge (in sechs, auch von Deutschen bewohnten Ortschaften) sammelte und bearbeitete Agnes Szarka, die Personennamen von Wolfs/Balf, Nigló/ Dunaszentmiklós, usw.21 wurden von Studenten gesammelt und bearbeitet in Diplomarbeiten. Gesammelt, aber noch nicht ausgewertet ist Namenmaterial aus Westungarn bzw. aus den Ortschaften, wo Fragebögen des UDSA ausgefüllt wurden. Die kurzen Ortsmonographien der ungarndeutschen Siedlungen, die an der Fakultät für Lehrerbildung in Fünfkirchen vorliegen, enthalten auch jeweils eine Liste der deutschen geographischen Namen. Ende der 60er Jahre veröffentlichte Josef Banner seine Untersuchung über die Namen der Eleker Deutschen (Kom. Békés) in ungarischer Sprache,22 sie erschien im Band 3 der Beiträge zur Volkskunde der Ungarndeutschen auch in deutscher Sprache. Damit waren eigentlich die ersten Schritte in diesem, nach dem Krieg in den Rückstand geratenen Bereich getan.
In den einzelnen Bänden der geographischen Namen der ungarischen Komitate gibt es ein beachtliches ungarndeutsches namenkundliches Material. In der letzten Zeit ist im Auftrag NZ eine Karte ungarndeutscher Ortschaften, mit zweisprachigen Ortsbezeichnungen gedruckt worden (Die Deutschen in Ungarn. Eine Landkarte mit den deutschen Ortsnamen.).
Aufgrund der oben angeführten Vorarbeiten konnten 1965 Karl Mollay und Claus Jürgen Hutterer über die Projekte der ungarndeutschen Dialektologie in Marburg berichten (UDSA, WUM). Auch ein Tonarchiv der deutschen Mundarten sollte entstehen. Gemäß der Zielsetzungen charakterisierte eine komplexe Forschungsmethodik die neueren Arbeiten. Sprache, Volkskunde, Statistik, Landeskunde und Geschichte im engeren Sinne wurden verknüpft. Die Hauptaufgabe war, zuerst das Fragebuch des UDSA abzufragen. Dieses Fragebuch enthält 600 Fragen zur Phonetik und zum Wortschatz. Neben Fragen allgemeiner Natur wie Boot, Vater, Mutter u. dgl. wurden auch Fragen aufgenommen, die den eigentümlichen Bauernwortschatz sowie Brauchtum und Lebensbedingungen des Volkes betreffen, um dadurch den Atlas als Forschungsinstrument für weitere Flächenbzw. Punktforschung gleichmäßig geeignet zu machen. Im Hinblick auf einen zu schaffenden Ungarndeutschen Volkskundeadas (UDVA) sowie das WUM wurden den Fragen, die die Grundlage für diese Arbeit schaffen sollen, besondere Beachtung geschenkt.
Die Großzahl der Fragen ist gleichzeitig laut- und wortgeograpisch bedingt. Man hat also dementsprechend auf die strenge Ermittiung der gefragten Lautung, des Korpus zu achten, andererseits aber stets die sinngemäße Entsprechung, den Sinn zu erheben, auch dort, wo er in einem von der ursprünglich gefragten Lautung grundverschiedenen Korpus bekannt ist.23 Die Budapester Germanisten trugen auch für die Ausbildung neuer Kräfte Sorge. Auf Anregungen von Claus Jürgen Hutterer begann Karl Manherz die Abfragung des Fragebuches des UDSA zuerst in seiner engeren Heimat, im Pilisch-Gebirge, später im Schildgebirge sowie im Welenzer-Gebirge und in Westungarn. Diese Arbeiten hatten als Ergebnis zwei Dissertationen aufzuweisen, von denen 1977 eine Sprachgeographie und Sprachsoziologie der deutschen Mundarten in Westungarn beim ungarischen Akademie Verlag veröffentlicht wurden.24 Den Zielsetzungen entsprechend sind also bisher zwei Teilarbeiten zu den geplanten regionalen Atlanten (Ung. Mittelgebirge, Westungarn) fertiggestellt worden. Zwischen 1960-68 beteiligte sich an der Sammlung mundartlichen Materials auch das Institut für Sprachwissenschaft der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Auch wurden die Tonaufnahmen zum Tonarchiv weitergeführt. Zu dieser Arbeit haben die Studenten des germanistischen Lehrstuhls sowie verschiedene Exkursionen bedeutend beigetragen. Geplant wurde immer eine Aufnahme von ca. 30 Minuten aus jedem Ort, in dem Deutsche wohnen bzw. noch deutsche Mundart sprechen. In erster Linie war die Sprache der bäuerlich-handwerklichen Grundschicht zu erfassen, wobei weitgehend schichtenspezifische und konfessionelle sowie Generationsmerkmale beachtet wurden. Großer Wert wurde auch auf fachsprachliches Material gelegt. Es sind Projekte geplant, die den Wortschatz des Kleingewerbes, des bäuerlichen sowie städtischen Handwerks und des Bergwerks erschließen sollen. Bereits veröffentlicht liegen einige Arbeiten aus diesem Bereich vor (Fischerei, Kerzengießen, Töpferei, Weinbau, Viehzucht, Volksnahrung u. a.).25 Auch das Erzählgut der Ungarndeutschen soll — zwar nicht systematisch gesammelt — auf den Tonbändern festgehalten werden. In Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Folklore der Budapester Universität wird an einem Märchenkatalog bzw. an einer Märchentypologie gearbeitet.26 Zahlenmäßig liegen etwa 180 Tonbänder im Tonarchiv der ungarndeutschen Mundarten in Budapest vor. Aufgrund dieses Materials sind dann einige Diplomarbeiten (Zulassungsarbeiten) und Doktordissertationen (Promotionsarbeiten) an der Budapester Universität entstanden. Die wichtigsten Themen waren: 1) Wortschatz der Handwerkersprachen,27 2) Das Verhältnis von Hochsprache und Mundart bzw. der Prozeß des Sprachwandels (Zweisprachigkeit),28 3) Lautlehre einzelner Ortsmundarten,29 4) Volkskundliche Arbeiten.30
1967 bearbeitete Franz Kiefer die Hajoscher Mundart aus synchronischer Sicht31 und wollte damit „sog." moderne Methoden in der Mundartforschung verwenden. Kiefer Stützte sich im allgemeinen auf die Arbeit von Claus Jürgen Hutterer (über Hochsprache und Mundart'2) in dem er das Verhältnis von Hochsprache-Mundart bzw. Hochsprache, Verkehrssprache-Mundart bestimmt. Ganz kurz berührt er auch die Problematik der Lehnwörter aus dem Ungarischen und untersucht den Einfluß des Hochdeutschen bzw. der deutschen Umgangssprache. Er grenzt auch die schwäbische Mundart von Hajosch von den Nachbarmundarten ab. Es werden Assimilationserscheinungen bei den Umsiedlern aufgezeigt (im Lautbestand, im Wortschatz, in der Satzmelodie und im Sprechtempo). Neu ist in seiner Untersuchung, daß er der Satzmelodie und dem Sprechtempo eigens ein Kapitel widmet. Seine synchronische Lautbeschreibung ist eine Untersuchung des Lautsystems, dabei werden nicht nur die einzelnen Laute, sondern auch ihre statistische Verteilung synchronisch dargestellt. Dieses Verfahren soll der weiteren Forschung Anregungen geben. Die Arbeit kann als ein Beitrag zur synchronischen Beschreibung einer Mundart betrachtet werden, wichtige Gesichtspunkte (Generationsunterschiede, Sprachgebrauch, Unterschiede in bezug auf Geschlecht u. a.) wurden aber nicht genügend berücksichtigt. Seine Schlußfolgerungen beziehen sich hauptsächlich auf zwei Fragenkomplexe: 1) Auf die Sprache der Ausgewanderten (Einfluß der fremden sprachlichen Umgebung), 2) Auf die zeitgemäße Behandlung des mundartlichen Materials.
Hajosch erweckte auch außerhalb Ungarns Interesse in bezug Sprache und Volkskunde. Nach einer 1941 veröffentlichten Arbeit33 bringen besonders die Freiburger Volkskundler in ihren Untersuchungen Hajoscher Material: in erster Linie Waltraut Werner in den Jahrbüchern für ostdeutsche Volkskunde.34 Aufgrund einer Kundfahrt mit Johannes Künzig beschreibt sie Haus und Hof, Tracht und Bräuche der Hajoscher und bereitet dadurch ihre Textausgabe vor.
Auch die Universitäten von Debrezin/Debrecen, Segedin/Szeged und Fünfkirchen/ Pécs liefern Beiträge zur Erforschung der ungarndeutschen Mundarten. 1970 verteidigt Johann Márvány seine Dissertation über die Mundarten in der nördlichen Schwäbischen Türkei.35 Die Schriftenreihe des Debreziner Germanistischen Lehrstuhls Arbeiten zurdeutschen Philologie bringt Arbeiten von Imre Lengyel über die Mundarten im Tokajer Bergland. 36 Der Volkskundler Béla Gunda förderte die Doktordissertation von dem im Krieg verstorbenen Georg Mester über Sitte und Brauch in Elek (Kom. Békés). In Fünfkirchen arbeiteten die Studenten unter der Leitung von Karl Vargha hauptsächlich auf dem Gebiet der Volkskunde, Mundartkunde wird unter der Leitung von Katharina Wild betrieben. In den 70er Jahren wurde ein neues Projekt gestartet: Die Untersuchung der Syntax der deutschen Mundarten im südlichen Transdanubien.38
In letzter Zeit ist eine besonders fruchtbare Verflechtung Volkskunde und Mundartforschung der Ungarndeutschen zu beobachten. 1975 wurde in Békéscsaba eine Tagung Zur Erforschung der Volkskunde der ungarländischen Nationalitäten abgehalten, wo auch Vorträge zur Sprache der Deutschen auf der Tagesordnung standen.39 Auf der in Oktober 1980 abgehaltenen zweiten Tagung wurden auch Fragen der Zweisprachigkeit erötert. Die Konferenz wind jedes fünfte Jahr veranstaltet.40
Die Ungarische Ethnographische Gesellschaft und der damalige Demokratische Verband der Ungarndeutschen haben aufgrund eines Publikationsplanes für die Jahre 1975-1985 bereits viel Sprachliches und Volkskundliches über die Ungarndeutschen veröffentlicht.41 Um eine bessere, geplante Erforschung der deutschen Mundarten und der Volkskunde zu ermöglichen, organisieren die genannten Institutionen seit 1977 jährlich eine Feldforschung, wo auch Vorträge über die deutschen Mundarten in Ungarn gehalten und praktische Geländearbeit geleistet wurden (vgl. die Zusammenfassung über die Geschichte der ungarndeutschen Volkskundeforschung).
Deutsch-ungarische Zweisprachigkeit, Sprachsoziologische Forschungen, Sprachgebrauch, Zweisprachigkeits-Syntax sind die zentralen Frage die in den letzten 20 Jahren erforscht wurden, und deren Forschungsergebnisse in ungarnländischen und international anerkannten Publikationen bzw. auf Kongressen und Symposien bekannt gegeben wurden, (vgl. die Arbeiten von Elisabeth Knaab, Katharine Wild, Susanna Gerner, PhD-Studenten, Maria Erb, Elisabeth Knipf, Éva Márkus, Maria Mirk, u.a.)
Selbst C. J. Hutterer nahm als Grazer Ordinarius an den dialektologischen Forschungen teil. Die meisten seiner Arbeiten der 70er/80er Jahre befassten sich mit Themen aus dem Karpatenbecken. Zu seinem 60. Geburtstag 1991 wurden seine Arbeiten zur ungarndeutschen Dialektologie gesammelt und in einem Band herausgegeben (Ungarndeutsche Dialektologie. Ungarndeutsche Studien). Diese Arbeit dient als wichtiges Lesebuch der Sprachinseldialektologie.
Solange die neuhochdeutsche Schriftsprache nur Schreibsprache war, bestand kein Anlaß, Dialekte zu erforschen und aufzuzeichnen. Wenn die Sprachforscher des 16.-17. Jahrhunderts sich mit der Mundart beschäftigten, dann mit den Problemen, die die gesprochene Sprache im Gegensatz zur geschriebene bot. Das Wort Mundart selbst ist 1640 bei Philip Zesen zuerst belegt: die Bildung betont den gesprochenen Aspekt dieser Sprachform und nicht den regionalen, wie es heute der Fall ist. Übrigens ist die künstliche Bildung Mundart ein Gelehrtenwort geblieben. Das Wort der Mundartsprecher lautet Dialekt (süddeutsch) oder Platt (mittel- und norddeutsch).
Die ersten Arbeiten, die Mundart in ihrem regionalen Aspekt behandeln, entstanden im 18. Jahrhundert zunächst in Niederdeutschland, wo der Unterschied zwischen Dialekt und Hochsprache besonders groß war und das Neuhochdeutsche als gesprochene Sprache in der städtischen Bevölkerung schon früh gepflegt wurde, später dann auch im hochdeutschen Bereich. Es sind dies Wörterbücher, die die landschafdichen Eigenheiten und Besonderheiten aufzeichneten. Die eigentlich wissenschaftliche Beschäftigung mit der Mundart begann im 19. Jahrhundert im Rahmen der Erforschung der Sprachgeschichte und der historischen Grammatik des Deutschen. Man entdeckte die Dialekte als eigenständige Gebilde, im Gegensatz zur Hochsprache, als Ergebnis einer kontinuierlichen organischen Entwicklung. Als Anreger und Forscher stehen hier Jacob Grimm (Deutsche Grammatik, 1819-39), F. J. Stalder (Die Landessprache der Schweif 1819) und Johann Andreas Schmeller (Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt, 1821) an der Spitze. In dieser Zeit wurden auch schon die ersten wissenschafdichen Wörterbücher begonnen, so Stalders „Schweizerisches Idiotikon" (1806-12) und Schmellers „Bayrisches Wörterbuch" (1827-37).
Eine neue Stufe in der wissenschaftlichen Erforschung der Dialekte beginnt zu dem Zeitpunkt, wenn die Phonetik das Rüstzeug für adäquate Beschreibung der Laute zur Verfügung stellt und auch Schattierungen eines Lautes noch kennzeichnen kann. Die erste vorbildliche Arbeit in dieser Hinsicht schuf Jost Winteler in der Schweiz: „Die Keren^er Mundart' (1876). Er war Schüler des damals führenden Phonetikers Edward Sievers. Ihm folgten bis heute eine große Anzahl sogenannter Ortsgrammatiken, die in der Regel die Laute einer Mundart im Vergleich zum Mittelhochdeutschen beschrieben. Bald schon wurde nicht nur die Sprache eines Ortes, sondern die von mehreren mit ihren Unterschieden aufgenommen. Der Schwabe Karl Haag ging mit seiner Dialektgeographie in Deutschland den anderen voran (Die Mundarten des oberen Neckar- und Donaulandes, 1898). Diese Methode, einen phonetisch ausgebildeten Forscher an Ort und Stelle einen Dialekt aufzeichnen zu lassen, wurde von der Romanistik in großlandschaftlichem Rahmen gepflegt. Auf dieser Weise entstand der französische Sprachatlas von J. Gilliéron und E. Edmont (Atlas linguistique de la France, 1903-1910).
Im deutschsprachigen Raum nahm die überregionale Dialektgeographie eine völlig andere Entwicklung. Hier hatte Georg Wenker 1876 im Rheinland die ersten Bögen mit 40 Sätzen in die Dörfer geschickt, damit sie in die dort heimische Mundart übersetzt wurden. Nach und nach wurde das ganze deutsche Sprachgebiet auf diese Weise erfaßt. Dem „Forschungsinstitut für deutsche Sprache, Deutscher Sprachatlas" in Marburg (an der Lahn) liegen heute 52.800 ausgefüllte Fragebögen vor. Von diesem Material sind bis heute 129 Karten veröffentlicht (von 1926-1956). Eine weitere große Anzahl von Karten liegen nur handschriftlich vor. Dieser Deutsche Sprachatlas (DSA) hat zwar den Vorteil einer sonst kaum erreichten Belegdichte, es ist praktisch jedes Dorf des deutschen Sprachgebietes erfaßt; seine Belege beruhen aber auf den Schreibungen von Laien, die sich redlich bemühten, den jeweiligen Laut mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu charakterisieren. Und so ist der Deutsche Sprachatlas zwar hervorragend geeignet, bestimmte Probleme wie Lautverschiebung oder neuhochdeutsche Diphthongierung in ihrer geographischen Verbreitung darzustellen. Ob Pfund oder Pund, wachsen oder wassen bzw. Huus oder Haus gesagt wird, läßt sich mit den Mitteln des Alphabets gut ausdrücken. Differenzierte Probleme der Lautlehre wie z. B. die neuhochdeutsche Dehnung oder die binnendeutsche Konsonantenschwächung lassen sich mit diesem Material aber überhaupt nicht fassen. Der DSA hat eine sehr große Wirkung auf die deutsche Mundartforschung und allgemeine Sprachwissenschaft ausgeübt.
Bei der Wortgeographie hat sich besonders das Sprachatlasverfahren bewährt. Ob in einem Dialekt Ziege oder Geiß gesagt wird, kann auch ein Laie beantworten. Der Fragebogen zum Deutschen Wortatlas (DWA) wurde von Walter Mitzka in den Jahren 1939 und 1940 versandt: Er enthielt 200 Einzelwörter; ca. 48 000 Antworten Hegen in Marburg vor: davon wurden von 1951 bis 1972 20 Bände veröffentlicht.
Östlich des mittleren Lechs (Augsburger Gegend) sagt man neibel, westlich davon aber neebel zu 'Nebel'. Man kann diesen Sachverhalt auch auf einer Karte darstellen: Die Linie, die in diesem Fall entlang des Lechs geht, nennt man Isoglosse. Isoglossen machen Landkarten zu Sprachkarten. Mit Hilfe von Isoglossen legt man Dialektgrenzen fest. Je mehr Isoglossen es aber zwischen zwei Orten bzw. Gebieten gibt, desto einschneidender ist die Sprachgrenze. Eine Isoglosse, die Ziege und Geiß voneinander trennt, ist als weniger bedeutend zu werten als eine, die he und er, oder gar eine, die den Gebrauch von Perfekt und Imperfekt als Erzählzeit der Vergangenheit voneinander trennt. Auf solche Weise kommt man bei (meist kleinräumigen) dialektgeographischen Arbeiten zu „Kombinationskarten", auf denen die Stärke der Grenzlinie ein Maß dafür ist, in wievielen und welchen gewichtigen Eigenheiten sich zwei Dialekte unterscheiden.
Die Mundarten, die von Isoglossen begrenzt werden, sind gesprochene Sprache. Und diese befindet sich dauernd in einem — wenn auch von dem einzelnen Sprecher kaum bemerkten — Wandel.
Eine Sprachkarte hält nur den zum Datum der Aufnahme bestehenden Zustand einer Sprachlandschaft (bei soziologisch einheitlicher Sprechschicht) fest. In welcher Richtung und in welcher Weise diese „Sprachlandschaft" in Bewegung ist, läßt sich durch Interpretation von Isoglossenkonstellationen feststellen. Die Verteilung sprachlicher Phänomene in der Landschaft (Diatopie) läßt sich als Abbild ihrer historischen Entwicklung (Diachronie) interpretieren.
Es gibt immer wiederkehrende Isoglossenkonstellationstypen, die meist nach zwei Seiten hin interpretiert werden können: Der Kreis beschränkt ein bestimmtes sprachliches Phänomen auf eine bestimmte Region. Befindet sich z. B. eine größere Stadt in seiner Mitte, so ist meist eine Neuerung gegeben, die von dieser Stadt ihren Ausgang nahm und sich ins Umland hinein verbreitete.
Findet sich diese Neuerung in der Nähe eines größeren zusammenhängenden Gebietes, dann spricht man von einem Horst; die Neuerung hat sich, das flache Land überspringend, in der Stadt festgesetzt.
Ein Kreis kann aber auch ein Reliktgebiet begrenzen: hier ist eine sprachliche Neuerung an einer verkehrsfernen Gegend (Waldgebiet, Gebirge) vorbeigegangen und hat dieses Gebiet unberührt gelassen.
Der Fächer entsteht, wenn sich ein Isoglossenbündel, das mehrere gemeinsam verlaufende Linien enthält, auffächert und jede Linie zwar noch in einer gleichen Generalrichtung, aber doch ihren eigenen Weg geht. Der Fächer kann auf zweierlei Art entstanden sein, entweder durch Auffächerung eines älteren Linienbündels oder durch Zusammendrängungen einer älteren Stufenlandschaft an einer Barriere.
Der Keil tritt meist bei Neuerungen auf, die entlang eines Verkehrsweges vordringen oder die von einer größeren Stadt gleichsam angesaugt werden. Berlin als hochdeutscher Horst im Niederdeutschen besitzt z. B. eine solche Wirkung für das Hochdeutsche. Keitoder trichterförmig stoßen hochdeutsche Eigenheiten in Richtung Berlin vor. Es sind aber auch Keile denkbar, die Reliktgebiete begrenzen.
Mit Hilfe von Isoglossendarstellungen und insbesondere von Kombinationskarten scheint es ein Leichtes zu sein, einen Dialekt von einem anderen abzugrenzen. Dies ist aber deswegen sehr problematisch, weil niemand genau anzugeben vermag, in wieviel Eigenheiten sich zwei Sprachgebiete unterscheiden müssen, damit man von zwei Dialekten sprechen kann. Die Übergangszonen zwischen zwei Großdialekten können sehr breit sein. Reist man von Ort zu Ort, so nimmt man nur sehr geringe Unterschiede wahr, diese summieren sich aber im Vergleich zum Ausgangsort mit der Zeit derart, daß man irgendwann einmal glaubt, eine andere Qualität vor sich zu haben und diese Sprachform dann auch mit einem eigenen Namen belegt. Es können aber auch relativ starke Isoglossenbündelungen vorkommen, bei denen es keine Schwierigkeiten macht, eine eindeutige Grenze festzulegen.
Die Dialektologie unterscheidet zweierlei Arten von Dialektmerkmalen: Fakultativ (auch primär) sind hervorstechende Merkmale, die einem sehr kleinen regionalen Bereich angehören, die ein Sprecher auch ablegen kann. Er bleibt als Sprecher eines Großdialekts erkennbar. Die Merkmale, die er bei diesem Unterfragen behält, nennt man obligatorisch (sekundär).
Die übliche Einteilung der deutschen Mundarten geht in ihrer Bezeichnung der Sprachräume auf die germanischen Stämme zurück, die in jahrhundertelangem Zusammenleben zu einer Nation mit gemeinsamer Hochsprache zusammengewachsen sind.
Deren ursprüngliche Siedlungsgebiete glaubte man im 19. Jahrhundert in den modernen Mundartgrenzen zu haben. Man hat zwar in der deutschen Sprachgeschichte und großräumigen Dialektgeographie von diesen teils mehr, teils weniger verwandten Stämmen auszugehen, doch haben auch noch nach der Landnahmezeit eine so große Anzahl von groß- und kleinräumigen Sprach- und Sprecherbewegungen stattgefunden, daß die heutigen Sprachgrenzen Ergebnis der verschiedensten Typen solcher Entwicklungen sind.
Nur in ganz seltenen Fällen ist es bisher gelungen, Sprachscheiden als die Reflexe alter Stammesgrenzen zu identifizieren, z. B. an der sogenannten Dreistammesecke (im Ries), wo auch heute noch fränkische, schwäbische und bairische Dialekte zusammenstoßen. Doch ist hier nicht von einer andauernden unmittelbaren Nachbarschaft der drei Stammesgruppen auszugehen, sondern es lagen große Gebiete (Wald, Ödland) dazwischen, die erst im Laufe der Geschichte besiedelt wurden, so daß auch in diesem Fall die Mundartforschung nicht in der Lage ist, mit Hilfe der heutigen Dialektgrenzen eine exakte Bestimmung des Siedlungsraumes der Landnahmezeit zu liefern.
Sprecherbewegungen sind im Verlauf der deutschen Geschichte zahlreich. Sie haben das dialektgeographische Bild des Deutschen in den Neusiedelgebieten des Mittelalters geprägt. Es gab aus verschiedenen Gründen (wirtschaftlichen, religiösen, politischen) aber auch Siedelbewegungen innerhalb älter, besiedelter Gebiete. Sprecherbewegungen haben im Aldand das dialektgeographische Bild aber nur kleinräumig beeinflussen können. Größere Wirkung wird hier den spätmittelalterlichen Territorien zugeschrieben. Diese Staatsgebilde bildeten im deutschen Sprachgebiet von ihrem Entstehen im Spätmittelalter bis um 1800 ziemlich stabile Grenzen heraus, die in dieser Zeit nur in Einzelheiten verändert wurden.
Die relative Einheitlichkeit des bairischen Sprachraums im Gegensatz zum schwäbischalemannischen und fränkischen dürfte auf die politische Kontinuität eines wenn überhaupt, dann nur großräumig geteilten bayrischen Staatsgebildes vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein zurückzuführen sein. Den mundartlich zerrissenen Räumen des Fränkischen und des Südwestens entspricht die politische Zerrissenheit dieser Gebiete. Besonders von der rheinischen Forschung wurde die Einheit von Sprach-, Kulturraum und spätmittelalterlichem Territorium betont. Man suchte Übereinstimmungen von Brauchtum, Volkstum und Sachkultur, von historischen und geographischen Gegebenheiten (Siedlung, Territorium, Wirtschaft, Verkehr, Kirchenorganisation) mit den heutigen Mundartlandschaften und fand sie z. B. in einer Dreigliederung der Rheinlande in die zwei kurfürstlichen Territorien Trier, Mainz sowie die Territorien im Kölner Raum.
Die naturräumliche Gliederung beeinflußt Wirtschaft und Verkehr. Sie wird so zum Schlüssel für viele sprachgeographische Gegebenheiten. Wo Gebirge, Sumpfgebiete oder große Wälder den Verkehr behindern, da können sich Mundartsprecher auch kaum gegenseitig beeinflussen. Einer Verkehrssprache entlang ziehen auch immer sprachliche Grenzen Neuerungen und lassen verkehrsferne Gebiete abseits liegen. Die große Wasserlauf des Rheins bildete nie eine große Mundartscheide. Sprachbewegungen sind ihm meist entlang gegangen. Ein einheitliches Wirtschaftsgebiet ist fast immer auch ein zusammenhängendes Verkehrsgebiet. Das gilt insbesondere auch für die Gegenwart: Große Wirtschafts- und Verkehrsräume haben die Tendenzen, eigene einheidiche Sprachformen auszubilden.
Auch langandauernde politische oder kirchliche Grenzen können Verkehrsgebiete prägen: wer immer in eine bestimmte Stadt eine Behörde aufsuchen muß, wird auch in diesem Ort auch einkaufen und andere Geschäfte tätigen, selbst wenn er dies in einer seinem Heimatort näheren Stadt, der er aber nicht politisch zugeordnet ist, erledigen könnte. Auf solchen jahrhundertelang stabilen politischen Grenzen beruht die vielfache Kongruenz des im Spätmittelalter entstandenen politischen Territoriums mit den heute noch bestehenden Mundartgrenzen.
Die deutschen Mundarten in Ungarn sind Siedlungsmundarten, die ihre heutige Form erst in der neuen Heimat erhalten haben, sie sind im Prozeß von Mundartmischung und Ausgleich entstanden. Nach Hutterer unterscheiden wir in diesem Vorgang zwei Hauptetappen:
den Ausgleich erster Stufe und den darauffolgenden Ausgleich zweiter Stufe. In der ersten Etappe hat sich innerhalb je einer Dorfgemeinschaft, manchmal dank der Integration sehr verschiedener Mundarten, eine homogene Ortsmundart entwickelt; in der zweiten Etappe erfolgt die weitere Integration benachbarter Ortsmundarten innerhalb großräumiger Zusammenhänge ebenfalls aufgrund eines Ausgleichs der beteiligten Ortsmundarten. Das ist im allgemeinen auch sonst der natürliche Weg zur Entstehung von nationalen Einheitssprachen, vorausgesetzt, daß die Entwicklung noch eine dritte Stufe durchläuft, auf der die einzelnen, in sich schon einheitlichen Regionalmundarten integriert werden (Ausgleich dritter Stufe). In typologischer Hinsicht sind alle ungarndeutschen Mundarten, von einigen isolierten Fällen abgesehen, sogenannte Mischmundarten. (Hutterer, Die deutsche Volksgruppe in Ungarn, S. 19.)
Eine ostdonaubairische (ostmittelbairische) Mundart herrscht bei den Deutschen in Nordwestungarn: bei den Heidebauern auf der Wieselburger Heide und bei den Heanzen bzw. „Bohnen-züchtern " in und um Ödeburg. Primäre Merkmale dieser Mundart sind die Wandlungen ahd.-ab. uo - ui, ahd. - ab. ai - oa (muida 'Mutter', pluid 'Blut', proad 'breit', hoos 'heiß'), eine sehr starke Diphthongierung, besonders vor Nasalen und Liquiden. Österreichisch sind die Rundungen vor altem /: e—ö,- ü, hö 'hell' fű' 'viel'. Der Konsonantismus zeigt die restiose Durchführung der zweiten Lautverschiebung (pflui 'Pflug', tsaid 'Zeit'). Als allgemein bairische Tendenz gilt die Palatalisierung von / und oft auch von n (fóid 'Feld', spürt, 'spielen'). Auch der Wortschatz enthält viele typisch bairische Kennwörter wie ergetag 'Dienstag', pfintstv 'Donnerstag', pfovd 'Hemd' usw. Die nahverwandte Wiener Umgangs- bzw. Verkehrssprache hat die Ortsmundarten in der letzten Zeit stark aufgelockert. Auch die soziale Schichtung und das „Wienerische" als sprachliche Norm beeinflußten bedeutend die Sprachentwicklung in diesem Raum.
Die Ortsmundarten des Raab-Lafnitztales führen bereits zum steirisch-südbairischen Dialektraum hinüber. Die oben angeführten Merkmale sind auch für sie charakteristisch. Zahlreiche Eigenheiten lassen sich im Wortschatz sowie in der Anlautskonsonanz hervorheben (steirisch kluv 'klein', trinkn 'trinken', truk 'Druck').
Das Ungarische Mittelgebirge gliedert sich mundartlich in einen Ost- und einen Westabschnitt, die durch die Moorer Senke/Móri árok getrennt sind. Im Norden liegt isoliert Deutschpilsen/Nagybörzsöny. Seine Mundart hat sich aus südbairischen und ostmitteldeutschen Elementen entwickelt und bewahrt viele archaische Züge (pluvt 'Blut', livb 'lieb',provt 'breit', äizn 'essen' u. a.). Am auffallendsten ist der Wandel von w zu b bzw. von /zu w im Anlaut: belt 'Welt', weit 'Feld' usw. Die zweite Lautverschiebung ist nur teilweise durchgeführt bei/: im Anlaut erscheint p als k (kfovlt 'Pfaid': 'Hemd'), in anderen Stellungen finden wir unverschobenes/ wie im Mitteldeutschen (äipal Apfel', Keup 'Kopf'). An-lautendesy erscheint zu dj affriziert (djovr 'Jahr'), s ist im Anlaut vor Vokal immer stimmhaft (zins 'süß').
Der Ostabschnitt nördlich der Moorer Senke/Móri árok wurde von den bairischen Mundarten des Ofner Berglandes gestaltet und ausgeglichen, an den Rändern gibt es aber kleinere deutsche Sprachinseln: eine ostfränkische Mundart spricht die Sendemer Gruppe (Szendehely, Berkenye, Katalinpuszta), im Donauknie herrscht in vier Dörfern eine ziemlich einheitliche rheinfränkisch-donaubairische Mischmundart (Zebegény, Grossmarosch/ Nagymaros, Kleinmarosch/Kismaros, Dunabogdány). Diese Mischung ist auch für die Bergwerksiedlung Tscholnok/Csolnok bei Dorog charakteristisch. Ofen/Buda und Pest haben bis um die Jahrhundertwende die Formen der wienerisch getünchten ostdonaubairischen Verkehrssprache an die umliegenden deutschen Dörfer vermittelt. Pest und Schorokschar/Soroksár haben eine mit schwäbischen Elementen durchsetzte bairische Mundart, die deutschen Dörfer der Tschepeler-Insel/Csepel-sziget heben sich durch ihren archaischen Charakter von den Mundarten des Ofner Berglandes ab. Einige Dörfer (Werischwar/Pilisvörösvár im Pilischgebirge) sondern sich durch eine starke Diphthongierung bzw. durch die „Wiener Monophthongierung" sowie durch ihre „unruhige" Sprachmelodie von der Umgebung ab.
Die Übergangszone vom Ofner Bergland zum Schildgebirge/Vértes) zeichnet sich durch das Vorhandensein von ua- sowie ui-Mundarten aus.
In einigen Dörfern läßt sich ein fränkisches Substrat beobachten (Tolna/Vértestolna, Untergalla/Alsögalla, heute Tatabánya), was mit der Siedlungsgeschichte dieser Ortschaften in vollem Einklang steht. Das Schildgebirge ist ein donaubairisches ua-Gebiet, nur an der Ost- und Westflanke gibt es einige ui-Dörfer (Kirne/Környe, Kätschkä/Kecsked, Schemling/Vértessomló und Pußtawahn/Pusztavam bzw. Gánt im Osten). Bairisch durchdrungene westfränkische Reste des Welenzer-Gebirges/Velencei hegység schließen sich der Ostflanke an (Napad/Nadap, Atschau/Vértesacsa, Lauschbrünn/Lovasberény).
Im ganzen Ostabschnitt des Mittelgebirges wurden die deutschen Mundarten von der ostdonaubairischen ui-Mundart geordnet.
Das Zentrum des Westabschnitts südlich der Moorer Senke ist Zirtz/Zirc. Von Zirtz aus bedingt erfolgte der sprachliche Ausgleich im ganzen Westabschnitt unter der Ägide der ostdonaubairischen ui-Mundart. Die bairischen Siedlungen der Wesprimer Hochfläche (Veszprémi-fennsík) bilden eine Brücke von der Zirtzer Landschaft zu den Rheinfranken (Kischludt/Kislőd, Waschludt/Városlőd, Bandau/Bánd), die sich durch die Übergangsmundart von Großwaschon/Nagyvazsony mit den südfränkischen Siedlungen des Plattenseeoberlandes/Balaton-felvidék verbinden lassen. Die Mundarten der vom Bergland her angesiedelten Streusiedlungen spiegeln die Sprachmerkmale ihrer Mutterkolonien wider (z. B. die donaubairischen ui-Mundarten von Kaposfő in der Schomodei sowie von Loischkomorn/Lajoskomárom und Herzogendorf/Mezőfalva verraten ihren Ursprung aus dem Buchenwald).
Die deutschen Mundarten im südöstlichen Transdanubien haben sich langsamer ausgeglichen. Der Grund liegt wahrscheinlich in der bunten Zusammensetzung der Ortsmundarten und in der starken konfessionellen Auffächerung der Landschaft. In Südungarn leben nicht selten in einem Dorf katholische, lutherische und kalvinische Deutsche zusammen. Die deutsche Bevölkerung Südungarns ist zumeist nicht bairischen, sondern fränkischen oder auch schwäbischen Ursprungs. Vor 1950 waren konfessionelle Mischehen praktisch unmöglich. Den mitteldeutschen Ausgleich der fränkischen Mundarten hemmte die bairisch-österreichisch geprägte Umgangssprache der südungarischen Städte, dem bairisch-öster-reichischen Ausgleich standen wiederum die fränkisch geprägten Ortsmundarten im Wege. Eine Art Ausgleich zweiter Stufe ist aber auch hier vorhanden, er mußte im Rahmen der mitteldeutschen Volkssprache verlaufen. Im Norden ist ein hessischer, im Süden ein spezifisch „fuldischer" Dialektraum entstanden, worauf auch die volkstümliche Benennung der Gruppe, nämlich Stiffoller „Stift Fuldaer" eindeutig verweist.
Im Norden der „Schwäbischen Türkei" bleibt bei Katholiken die Entsprechung für germ. d unverändert, bei Protestanten wird es immer zu r gewandelt (prudr/pruro 'Bruder'). An der Grenze zwischen der Tolna und Baranya spricht man hessische Dialekte, wo das alte d eine Zwischenstellung zwischen d und r einnimmt und als spirantisches d ausgesprochen wird (in den Mundarten von Raizkosar/Egyházaskozár, Hidasch/Hidas, Gallaß/Kalaznö, Murgau/Murga, Moratz/Mórágy usw.). Für diese Gruppen sind der mitteldeutsche Stand der Lautverschiebung und die mitteldeutsche Deminutivbildung -eben gegenüber dem bairischen -eil- erl charakteristisch.
Die meisten Stiffoller siedeln in der Baranya, nördlich davon sind nur einige Dörfer in der Tolna (Mutsching/Mucsi, Seiwicht/Závod). Besonders auffällig in ihrer Mundart ist die Verwendung des alten Perfektivpräfixes ge- nach den Modalverben können und mögen [iX Ron katrenk) 'ich kann trinken' sowie eine starke Diphthongierungstendenz, besonders vor r. wudst, Wurst' stidn, 'Stirn'.
Pfälzische Merkmale sind in der östlichen Tolna vereinzelt vorhanden, ihr eigentliches Verbreitungsgebiet ist aber die Batschka. Auch hier sind kleinere „Mundartinseln" vorhanden. In de Nordbatschka Tschawerl/Csávoly mit einer fränkisch-bairischen Mischmundart. Bairische Mundartinseln sind Jöring/Györköny und Wikatsch/Bikács (vom Heideboden angesiedelt), Neuglashütten/Kisújbánya und Petschwar/Pécsvárad mit ihrer wienerisch gefärbten ua-Mundart. Bairische Durchdringung kennzeichnet die Mundart der Gemeinde Tolnau/Tolna und fast alle Ortsmundarten der Schomodei.
Im selben Raum bestehen auch einige kleinere, oberdeutsche — ostfränkische — Sprachhorste, -Nadasch/Mecseknádasd u. a. Eine Sonderstellung nehmen die Mundarten von Sagetal/Szakadát und Großseckell/Nagyszékely in der Tolna ein. Gestürzte Diphthonge (proiph 'Brief') sowie moselfränkische Formen (dot 'das') sind hier charakteristisch.
Schwaben, die der ganzen Volksgruppe ihren Namen gegeben haben, finden wir nur in wenigen Dörfern. Am reinsten haben sie ihre Sprache und Volkskultur in Hajosch/Hajós an der Donau, in Dewel/Tevel, Kleindorog/Kisdorog und Sumpau/Zomba in der Tolna bewahrt. Natürlich kommen schwäbische Elemente auch in fränkischer Umgebung vor (z. B. in Joód/Gyód in der Baranya).
Vereinzelt steht die alemannische Mundart von Arpad/Nagyárpád da (heute gehört es zur Stadt Fünfkirchen).
Die deutschen Orte im Komitat Békés liegen am Nordrand des Banats. In Elek und Almáskamarás herrscht eine ostfränkische, in Mezőberény eine fränkische Mundart, die Mundart von Jula/Gyula ist eine österreichisch getünchte städtische Umgangssprache.
In Ungarn sind also die hochdeutschen — ober- und mitteldeutschen — Dialekte fast ausnahmslos vertreten. Größere Sprachräume bilden das Ostdonaubairische in Westungarn und im Ungarischen Mittelbirge bzw. das Rheinfränkische in der „Schwäbischen Türkei" und in der Batschka. Ein schwäbischer Raum ist nur im Komitat Sathmar entstanden, davon liegen heute nur drei Dörfer in Ungarn. Das „echt schwäbische" Element macht höchstens 2% der ungarndeutschen Volksgruppe aus. Für die Entstehung des Einheitsnamens „Schwaben" gibt Hutterer folgende Erklärung:
Die überwiegende Mehrheit der ersten nachtürkischen Siedler ist tatsächlich aus schwäbischen Landen — Württemberg, Schwaben über Ulm auf der langen Donaustraße, in den berühmten 'Ulmer Schachteln' nach Ungarn gekommen... Als Sammelname aller nachtürkischen deutschen Siedler im Karpatenbecken hat ihr Stammesname in die Sprachen Südosteuropas Eingang gefunden. Die Ironie des Schicksals wollte es, daß der namengebende Stamm in diesem Raum heute großenteils nur in seinem Namen weiterlebt. Die Schwaben wurden von den schrecklichen Pestseuchen des 18. Jahrhunderts dezimiert, und sie waren es, die entlang der Donau nach Süden — über die Dobrudscha und die Ukraine bis an die Wolga, in die Krain und nach Transkaukasien -weiterzogen... An ihre Stelle traten im Karpatenbecken fast überall die Baiern und die Franken, auf die der Schwabenname übertragen wurde. Das 18. Jahrhundert war noch nicht das Zeitalter des Stammesbewußtseins in Europa und die meisten Siedler galten eben nur als „Deutsche", nicht als selbstbewußte Träger einer bestimmten geschlosseneren ethnischen Einheit: auch von dieser Seite stand daher der Ausbreitung des Schwabennamens nichts im Wege.
(Hutterer, Die deutsche Volksgruppe in Ungarn. In: Beiträge zur Volkskunde der Ungarndeutschen 1, S. 27-29.)
Die ungarndeutsche Dialektologie, wie es aus den einführenden Teilen hervorgeht, hat bereits Westungarn, das Ungarische Mittelgebirge und Teile der sog. Schwäbischen Türkei sprachgeographisch und sprachsoziologisch bearbeitet. Von diesen Arbeiten bringen wir im folgenden einige Kapitel.
Der Heideboden wird auch die Wieselburger Heide genannt. Umrahmt wird dieses Gebiet im Westen vom sog. Seewinkel - ung. Fertőzug — (vom Gebiet zwischen der Staatsgrenze und dem Neusiedler See) und von den Abhängen des Leithagebirges im Burgenland, im Süden von einem Teil des Kleinen Tieflandes (ung. Kisalföld), von dem Wasen (ung. Hanság) und dem nordwestlichen Buchenwald, im Norden und Osten von der Donau bzw. von der Kleinen Schutt (ung. Szigetköz). Die Wieselburger Donau trennt den Heideboden von der Kleinen Schutt (ung. Szigetköz). Es bildet also einen Teil der Kleinen Tiefebene. Die Wieselburger Donau trennt den Heideboden von der Kleinen Schutt (Gahlung und Ungarisch-Kimling liegen jedoch auf der Kleinen Schüttinsel). Die Leitha führt vom Westen in das Gebiet und mündet bei Wieselburg, Ungarisch-Altenburg in die Donau. Der heutige Wasen bildet nun mehr einen Teil des ehemaligen Sumpfgebietes, das kanalisiert wurde. Die Städte Wieselburg und Ungarisch-Altenburg bilden das Zentrum des Heidebodens (Raab spielt hier keine wichtige Rolle). Die Städte wurden 1939 zu Mosonmagyaróvár vereinigt. Nördlich der Städte liegt Pallersdorf, das sich durch die kroatischen Bewohner — die aber auch deutsch sprechen — von dem Ganzen absondert. Durch die Magyarisierungstätigkeit des Benediktinerordens zu Martinsberg sondern sich Tschanak, Leiden, Plankenhaus und Martinsberg von dem Kerngebiet ab. Jahrmarkt in Südost-Richtung bildet eigentlich die Grenze zwischen dem nordwestlichen Buchenwald und dem Heideboden mit seinem Übergangscharakter. Um Straßsommerein gruppieren sich Kalten-stein, Sankt Peter, Sankt Johann (heute zu einem Dorf unter dem Namen Jánossomorja vereinigt), Zanegg und Ragendorf. Über dem Wieselburger Donauarm, auf der Schutt, liegen Gahlung, in der Enklave der Kroaten und Ungarn Ungarisch-Kimling. Beide gehöten zum unmittelbaren Grenzgebiet der Städte, sind heute Vororte der Stadt Mosonmagyaróvár. Tschanak ist ein Vorort von Raab.
Karte 1. Die Forschungspunkte |
1 | Raab (Győr) | 21 | Brennberg (Brennbergbánya) |
2 | Tschanak (Ménfőcsanak) | 22 | Wandorf (Sopronbánfalva) |
3 | Martinsberg (Pannonhalma) | 23 | Harkau (Magyarfalva) |
4 | Jahrmarkt (Gyarmat) | 24 | Wolfs (Bali) |
5 | Plankenhaus (Győrsövényház) | 25 | Holling (Fertőroboz) |
6 | Leiden (Lébény) | 26 | Roggendorf (Kiszsidány) |
7 | Ungarisch-Kliming (Magyarkimle) | 27 | Güns (Kőszeg) |
8 | Gahling (Máriakáinok) | 28 | Schwabendorf (Kőszegfalva) |
9 | Wieselburg (Moson) | 29 | Steinamanger (Szombathely) |
10 | Ungarisch-Altenburg (Magyaróvár) | 30 | Ungarisch-Großdorf (Magyarkeresztes) |
11 | Pallersdorf (Bezenye) | 31 | Deutsch-Großdorf (Németkeresztes) |
12 | Ragendorf (Rajka) | 32 | Pernau (Pornóapáti) |
13 | Straßsommerein (Hegyeshalom) | 33 | Ginisdorf (Nemesmedves) |
14 | Kaltenstein (Levél) | 34 | Unterradling (Alsórönök) |
15 | Zanegg (Mosonszolnok) | 35 | Oberradling (Felsőrönök) |
16 | Sankt Johann (Mosonszentjános) | 36 | Jakobshaus (Jakabháza) |
17 | Sankt Peter (Mosonszentpéter) | 37 | Raabfidisch (Rábafüzes) |
18 | Odenburg (Sopron) | 38 | Unterzemming (Alsószölnök) |
19 | Kroisbach (Fertőrákos) | 39 | Sankt Gotthard (Szentgotthárd) |
20 | Agendorf (Ágfalva) |
Aus: Manherz, Karl: Sprachgeographie und Sprachsoziologie der deutschen Mundarten in Westungarn
Das Gebiet westlich vom Heideboden wird Seewinkel genannt, diesseits der Staatsgrenze liegen die Dörfer Kroisbach, Wolfs, Holling am Neusiedlersee. Das Zentrum bildet hier Odenburg. Der Fluß Ikva teilt diese nordwestliche Ecke in Südwest-Richtung, an den Abhängen des Ödenburger Gebirges liegen Agendorf, Brennberg und Harkau. Im Westen wird das Gebiet durch Odenburg und das Leithagebirge begrenzt.
Güns, Schwabendorf, Roggendorf liegen in der unmittelbaren Umgebung des Günser Gebirges. Der Fluß Gyöngyös teilt die Stadt Güns in zwei Teile.
Steinamanger befindet sich im Zentrum des Eisenburger Hügellandes. Ungarisch-Großdorf, Deutsch-Großdorf (heute zu einem Dorf Vaskeresztes vereinigt) und Pernau breiten sich im Pinkatal aus, dicht an der Staatsgrenze. Ebenso liegen im Raabtal, zwischen der Staatsgrenze und dem Fluß Raab, die Dörfer Oberradling, Unterradling (heute zu einem Dorf Radling, ung. Rönök, vereinigt), Jakobshaus und Ginisdorf. Raabfidisch und Unterzemming liegen im Raab-Lafnitztal. Das Zentrum dieses Gebietes bildet Sankt Gotthard an der Raab.
Zur Landesgeschichte
Im 9. Jahrhundert (896) erfolgte die Landnahme der ungarischen Stämme, aber einzelne Scharen stießen schon 861 bis in die Kleine Ungarische Tiefebene vor, wo sie seit den sechziger Jahren des 9. Jahrhunderts immer häufiger erschienen. Am Rande des Gebietes stand dem Vordringen der Ungarn eine verhältnismäßig dichte slawische Bevölkerung im Wege. Die Ungarn nahmen auch den Heideboden in Besitz, was mit großen Verheerungen vor sich ging. Nach der Schlacht auf dem Lechfeld (955) und dem endgültigen Zurückdrängen der Ungarn (1041) begann eine zweite Besiedlung. Stefan I. rief deutsche Siedler ins Land. Auf dem Heideboden war es die Miesenburg (Wieselburg), um die sich die Ansiedler scharten.
Im 11. Jahrhundert wandten die salischen Kaiser Heinrich IL und Heinrich IV. der Sicherung des Donauostens durch deutsche Besiedlung mehrerer befestigter Plätze (Wieselburg, Ungarisch-Altenburg, Odenburg) ihr besonderes Augenmerk. Der letzte schenkte 1074 dem Kloster Freising in Bayern ein größeres Gebiet im Norden des Neusiedlersees. Seit dem 11. Jahrhundert entwickelt sich das heutige Siedlungsbild des Gebietes. Die planmäßige Besiedlung des Raumes wurde im 12. Jahrhundert (unter König Geisa IL ) und im 13. Jahrhundert (unter Béla IV.) fortgesetzt. Zur Zeit des Mongolenzuges gingen die Komitate Wieselburg und Odenburg u. a. in Besitz der Österreicher über.
Die Bevölkerung wurde durch österreichischen Einwanderern ersetzt. Die deutschen Namen von Wieselburg und Ungarisch-Altenburg zeugen davon, daß man in diesen Städten mit einer großen Zahl deutscher Gewerbetreibender und Handwerker rechnen muß.
Im Zeitalter der Glaubenskämpfe kamen viele deutsche Protestanten nach Ungarn, die in ihrer Heimat (besonders in den österreichischen Ländern) ihres Glaubens wegen verfolgt wurden. Sie ließen sich im 17. Jahrhundert vor allem im Seewinkel und auf dem nordwestlichen Teil des Heidebodens nieder. Bereits nach 1520 wurden zur zusätzlichen Besiedlung zahlreiche Kroaten ins Land gerufen, die in Pallersdorf, Kroatisch-Kimling (ung. Horvát-Kimle) und Unterzemming angesiedelt wurden. Ebenso wurden nach den Türkenkriegen Zanegg, Sankt Johann und Sankt Peter von den Salzburgern neu besiedelt. Im Jahre 1713 hatten viele Familien aus der Gespanschaft Wieselburg ihre Wohnsitze nach Jöring und Wikatsch ins Komitat Tolna verlegt. 1745 ließ der Sohn von Josef Eszterházy deutsche Bürger aus dem Komitat in Bay (ung. Baj) und Kirne (ung. Környe) ansiedeln.
Die große Kolonisation von Maria Theresia und Joseph IL ist am Heideboden, wie an ganz Westungarn überhaupt, vorbeigeganen. Anders verhält es sich mit Tschanak, Jahrmarkt und Plankenhaus, die ihre deutschen Siedler durch das Kolonisationswerk Maria Theresias und des Benedktinerordens erhielten. Ihre Ansiedlungszeit sei im folgenden angegeben: Tschanak wurde 1729 vom Abt von Martinsberg, Jahrmarkt (1720) und Plankenhaus (1715-18) wurden von der Probstei Csorna besiedelt.
Wir haben hier ein typisches Grenzland vor uns, in dem durch die Grenzlage der Nachschub von deutschen Siedlern stets gesichert war. Von einer planmäßigen Ansiedlung in dem Sinne, wie sie im inneren Ungarn erfolgte, kann hier keine Rede sein. Wir müssen die Auffassung von Pfalz, Steinhauser, Weigl und Kranzmayer annehmen und die Sprache zur Hilfe heranziehen: Die ersten urkundlichen Belege für niederösterreichisches ui stammen aus dem Jahre 1314, und dieses »/soll im 14. Jahrhundert ganz Niederösterreich umfaßt haben. Die Sprecher dieser Dialekte waren also im 12.-13. Jahrhundert nach dem Osten vorgerückte bairische Ansiedler. Das ganze Gebiet war auch vor dieser Zeit bewohnt, aber ebenso wie die Slawen ist auch jene Bevölkerung mit der Umgebung verschmolzen. Die Frankenhypothese von Dachler ist unhaltbar — wie es Pfalz u. a. betonen —, das beweist auch die Sprache. Die ehemaligen Wieselburger, Ödenburger und Eisenburger Komitate lagen allzu nahe an den uralten westöstlichen Heerstraßen, als daß da jahrhundertelang ein ungestörtes Leben möglich gewesen wäre. Die Zusammensetzung der Bevölkerung hat sich stets geändert, geordnet wurde jedoch der Raum von den bairischen Siedlern, die eine niederösterreichische «/-Mundart sprachen.
Soziale Schichten in den deutschen Mundarten in Westungarn
Westungarn wurde — abgesehen von Unterzemmig/Alsöszölnök und St. Gotthard/ Szentgotthárd — von der ostdonaubairischen ui-Mundart geordnet, deren charakteristische Merkmale aber weithin nicht so allgemein verbreitet sind, wie es in der früheren Forschung behauptet wird. Die Lage ist sehr differenziert: Innere und äußere Triebkräfte trugen dazu bei, daß dieser ehemals einheitliche Sprachraum längs der Verkehrswege zersprengt wurde, also spielte dabei der Verkehr eine besondere Rolle. Seit alters führen durch das Arbeitsgebiet die wichtigsten Straßen des West-, Ost- bzw. Nord-Süd-Verkehrs, die Fleischhackerstraße, die Poststraßen, die Heustraße und die „Donaustraße".
Mit der Herausbildung des Zunftwesens fällt den Städten größere Bedeutung zu (Preßburg und Raab waren auf dem Heideboden die Zentralstellen der Zünfte, denen sich dann auch Altenburg/Magyaróvár und Wieselburg/Moson, im übrigen Westungarn Ödenburg/Sopron, Güns/Kőszeg und St. Gotthard/Szentgotthárd anschlossen), die Handwerker und Gewerbetreibende aus Österreich und Deutschland in großer Zahl anzogen.
Auf die Sprachentwicklung wirkte auch die Industrialisierung, die sich seit 1884 in diesem Gebiet in raschem Tempo entwickelte. Beachtet man noch die spezifische Lage des Grenzgebietes, so kann man feststellen, daß hier, durch den unmittelbaren räumlichen und sprachlichen Zusammenhang mit Österreich und durch die Nähe Wiens, bis 1945 die mundartliche Strahlung der ostdonaubairischen (Wiener) Verkehrssprache seit altersher gesichert war. Diese Tatsache beeinflußt die sprachliche Situation bis heute.
Innerhalb des Sprachraumes konnten sich neben der horizontalen Verbreitung der Mundarten teils berufs-, teils bildungsbedingte vertikale Schichten behaupten. Die vertikale Schichtung zeigt sich auf verschiedenen Ebenen der sprachlichen Wirklichkeit.
Am auffallendensten sind die lautlichen Erscheinungen, aber auch der Wortschatz zeigt soziologisch bedingte Formen.
Bei der Gruppierung der bairischen Mundarten geht man davon aus, wie die betreffenden Mundarten die ahd.-ab. Diphthonge uo und ai behandeln. Hierbei treten auch auf unserem Gebiet die Abweichungen am klarsten hervor. In den Dorfmundarten, in der Sprache der älteren Generation (wie in Niederösterreich und im Burgenland überhaupt) sind ui bzw. oo die mundartlichen Entsprechungen der Diphthonge. Diese Formen herrschen in der Sprache der älteren Generation (zwischen 50-70) ausnahmslos (z. B.: 'Kuh' — kui, 'breit' —pron). Dabei müssen wir aber bemerken, daß zwar das Wort Meister in der Sprache der älteren Generation überall monstn lautet, aber 'Schulmeister' schon suimastv, also ä statt ov; es ist ein von der städtischen Mundart beeinflußter Ausdruck und auch kirchensprachlich bedingt. Ähnlich verhält sich 'Gleis': in 'Eisenbahngleis' mit ei(o aukleis), aber in dem zum Grundwortschatz gehörenden 'Wagengleis' erscheint ov (-klovs). Im Vokalismus von 'Ei' läßt sich eine weitere Schichtung beobachten: Es heißt ov in den echten Dorfmundarten, ä (är) in der Sprache der Handwerker, ei in den Stadtmundarten und in der Sprache der Intelligenz.
Im folgenden behandeln wir die Entwicklungstendenzen der ahd.-ab. Diphthonge uo und ai in der Sprache der einzelnen sozialen Schichten (Stand der 1960er und 70er Jahren).
Die Bauernsprache
Die Bauernmundarten werden unter der bäuerlichen Landbevölkerung im Verkehr untereinander gesprochen und zeigen eine weitere Stufung in Abhängigkeit davon, wie weit der Übergang zum Ungarischen in den einzelnen Ortschaften gekommen ist. Die primären Merkmale der deutschen Mundarten in Westungarn (uo>ui, ai>ov u. a.) werden in diesen Mundarten beibehalten. Dieser reinen Dorfmundart bedient sich die ältere Generation. Die mittlere Generadon paßt sich mehr der Stadtmundart an (zu dieser Schicht gehören jene, die die bäuerliche Arbeit nur als Nebenbeschäftigung betreiben und meistens in den naheliegenden Städten als Industriearbeiter tätig sind). Es geht hier eigentlich um die Frage des sprachlichen Mehrwerts, der Gemeinschaftsform. Hier wirkten zwei Komponenten: Für den ganzen Sprachraum war die Wiener (ostdonaubairische) Verkehrssprache entscheidend, aber im unmittelbaren Strahlungsgürtel der westungarischen Städte deren Mundart.
Die Fach- und Berufssprachen
Die Berufssprachen sind nie bestrebt, sich von den Banden der jeweiligen Ortsmundart in ihrer grammatischen Struktur zu entfernen. Die Sprache der Fischer, Kerzengießer, Lebzelter und Schlosser bzw. Satder unterscheidet sich hauptsächlich in ihrem spezifischen Wortschatz und spielt in der allgemeinen Sprachentwicklung eine Rolle, insofern ihre Träger Lautstruktur und Grammatik ihrer angestammten Mundart in entfernte Gegenden mitnehmen und in dieser Weise den Ausgleich zwischen den einzelnen Gruppen fördern. In Westungarn ist für diese Schicht auf dem Lande charakteristisch, daß die Handwerker als gebürtige Dorfbewohner kürzere oder längere Zeit — um das Handwerk zu erlernen — in kleinen Städten verbrachten, dann aber - um ihre Kenntnisse zu erweitern - ins Ausland, besonders nach Österreich, nach Wien, zogen und später in ihren Heimatort zurückkamen und sich dort niederließen. Ihre Sprache erhielt also ihr Gepräge von einer Stadtmundart — meistens von der Ungarisch-Altenburger, Wieselburger, Ödenburger bzw. Günser Stadtmundart und übernimmt die Vermittlerrolle zwischen der Ortsmundart und der Wiener Verkehrssprache. Elemente der Ortsmundart tauchen in diesen Gruppensprachen ständig auf. Es sind meistens sprachliche Formen, die zum Grundwortschatz der Ortsgemeinschaft gehören und vom Sprecher unbewußt gebraucht werden. Beachtet man die Entwicklung der bereits erwähnten ahd.-ab. Diphthonge, so zeigt sich folgendes Bild: Dem ahd.-ab. uo entspricht in der Sprache der Handwerker auf dem Lande uv, also die Entsprechung des Diphthonges der ostdonaubairischen Verkehrssprache. Dagegen taucht in Wörtern, die zum Grundwortschatz gehören, auch ui auf (z. B. Hui 'Kuh', kluid'Glut'). Ahd.-ab. aierscheint ausnahmslos als ov.
Die Stadtmundarten
Die Sprache der Städte Altenburg/Magyaróvár, Wieselburg/Moson, Ödenburg/Sopron, Güns/Kőszeg und St. Gotthard/Szentgotthárd muß gesondert behandelt werden. Ursprünglich werden hier drei Schichten auseinandergehalten: die Bauern, die Handwerker und die Intelligenz. Eine Umgruppierung zeigt sich in unseren Tagen: Durch die Industrialisierung und die Herausbildung der großen Staatsgüter nahm die Zahl der Handwerker und Bauern bedeutend ab, und es bildete sich eine neue Schicht, die der LPG-Bauern und Industriearbeiter, die aber noch Reste der bäuerlichen Lebensform bewahrt haben. Ihre Sprache wird durch die Verwendung der uv- und w-Formen charakterisiert, ui/ist noch in der Sprache der älteren Weinbauern in Ödenburg/Sopron und Güns/Kőszeg vorhanden. (Eine Tendenz zu ai>ovd ä laßt sich jedoch auch hier beobachten, aber ov ist stärker belastet.) Die Handwerker, die ihren Beruf auch heute noch ausüben, bedienen sich der uv-, aber ausschließlich der ä-Formen. Die Verbreitung der ä-Formen zeigt den großen Einfluß der ostdonaubairischen Verkehrssprache. Eigentlich bestimmte die Sprache der Handwerker den Charakter der Stadtmundart, denn diese Schicht bildete noch vor 60-80 Jahren die Hauptmasse der Einwohner.
Die Sprache der Intelligenz
Die Sprache der Intelligenz (sowohl auf dem Lande als auch in den Städten) nimmt eine spezifische sprachliche Situation ein. Sie charakterisiert eine vollständige Auslese echter Mundart und Aneignung der Wiener Verkehrssprache. Diese wird von ihr als Norm angestrebt. Im Lautstand verwendet sie konsequent uv für altes uo und entwickelt es weiter zu 3, wie auch ai zu abzw. ei. Durch dieses Eindringen der ostdonaubairischen Verkehrssprache wird die mundartliche Fläche „reihenschrittlich" aufgelöst, was die allgemeine Tendenz der Sprachentwicklung in diesem Raum kennzeichnet. Es handelt sich um einen sprachlichen Vorgang, demzufolge die Mundarten die primären Merkmale aufgeben und einen Ausgleich anstreben.
Elemente der Dorfmundart gehören jedoch zum passiven Wortgut der Intelligenz, deren sie sich aber nur als Stilmittel bedient, wenn sie jemanden von der Bauernschicht charakterisieren will. Sie sagt also badi nvrin 'Bedienerin' (Dienstmädchen) für mundartliche tivn 'Dirne' (Dienstmädchen), aber ahmt der Sprechweise der Bauern nach, indem sie koos 'Geiß' (Ziege) oder tuif'üei' sagt. Bei dieser Schicht haben die primären Merkmale der Mundart einen pejorativen Sinn erhalten. In einigen Dorfmundarten gelten die alten ui-Formen auch unter den Bauern als pejorative Stilmittel. Will man etwa einen dummen Bauern charakterisieren, betont man besonders die primären Merkmale. Es wird damit das Tölpelhafte, Bäuerliche, das Derbe hervorgehoben. In Straßsommerein/Hegyeshalom dagegen werden die »/-Formen als natürlich empfunden. Man unterscheidet im Erzählen zwischen puv/pui 'Bube', fügt aber hinzu, daß puv eine „bessere" Form sei: „Wir bleiben bei pui, das ist unsere Muttersprache". Hier bezeichnet der Gebrauch der primären Merkmale die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Im Gespräch eines Bauern mit einem Stadtbewohner geht es wieder um die un-Form. Die Tendenz der inneren Sprachentwicklung wird hier durch die äußeren Triebkräfte vorangetrieben und bildet mit ihnen eine dialektische Einheit.
Es sei noch eine, aus sprachsoziologischer Sicht wichtige Erscheinung erwähnt. Im engeren Kreis der Dorfintelligenz läßt sich auch unter den Bauernmundart Sprechenden eine Tendenz „besser zu sprechen" beobachten, d. h. gemäß der lokalen Norm, in diesem Fall gemäß der Sprache der Intelligenz. Als Beispiel nennen wir die im Ort geborene Frau eines Schulmeisters in Kaltenstein. Wenn sie eine bäuerliche Arbeit erklärt, spricht sie eine Bauernmundart, sobald es sich um allgemeine Themen handelt, richtet sie sich nach der Sprache ihres Mannes, sowohl im Lautstand als auch im Wortschatz. Es entsteht in ihrem Sprachgebrauch eine Symbiose verschiedener sprachlicher Elemente, die den Ausgleich zugunsten der ostdonaubairischen Verkehrssprache als Folge haben wird. Sie sagt z. B.: tse aus 'zu Hause' statt tnhopn edaheim' mutv neben muidv 'Mutter', krößmutv 'Großmutter' statt äl 'Ahnl, kroßfotv 'Großvater' statt eil 'Ähnl', krv n neben krev 'grün', heimvd 'Hemd' neben pfovd 'Pfaid' (Hemd),pevX stattpevri 'Berg', tant Tante', statt muvm / movm 'Muhme' usw. Die Sprache des Sprechers wird also von seiner sozialen Lage weitgehend beeinflußt.
Außer den hier angeführten charakteristischen Lauterscheinungen kann man eine Buntheit von Vokalnuancen in Westungarn beobachten, was mit Recht als Zeichen von Systemverfall angesehen wird.
Soziale Schichten in den deutschen Mundarten in Westungarn (auf Grund der ahd.-ab. Diphthonge uo, ai):
Vertikale Schichten
Hochsprache und Mundart in Westungarn, in der Phase der Entdeutschung:
I. Ungarisch als Schriftsprache
IL Ostdonaubairische (Wiener) Verkehrssprache (sprachliche Norm)
III. Regionale Verkehrssprache (Stadtmundart, Sprache der Handwerker)
IV. Ostdonaubairischer ui-Dialekt (bzw. in Unterzemming/Alsószölnök, St. Gotthard/ Szentgotthárd südbairischer-steierischer Dialekt)
Wie aus der Staffelung ersichtlich, werden die Mundarten in unserem Raum unter dem Einfluß der, den sprachlichen Mehrwert repräsentierenden, Verkehrsmundart ausgeglichen. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war dies die Wiener Verkehrssprache, in den letzen 30 Jahren erhalten die Mundarten Impulse einer weiteren Überdachung von der ungarischen Hochsprache. Der Einfluß beider hat sich in verschiedenem Maße durchgesetzt. Durch die Umsiedlung (die auch die Auflösung der Sprachgemeinschaft bedeutete), die spezifische Lage im Grenzgebiet und die ungarische Sprache als Hochsprache haben wir einen zweiseitigen Prozeß vor uns: Von der älteren Generation wird die Stadtmundart als Norm angestrebt und dadurch der Ausgleich zwischen Dorfmundart und regionaler Verkehrssprache gefördert, die mittlere Generation und die Handwerkerschicht richtet sich nach der Sprache der Intelligenz und fördert damit den Ausgleich zwischen regionaler Verkehrssprache und Wiener Verkehrssprache. Außer denn sprachlichen Verkehr fördern diesen Prozeß noch die neuen Massenmedien (laut statistischen Erhebungen wird von den Deutschen in Westungarn hauptsächlich österreichisches Fernsehen empfangen). Dagegen besitzt das Ungarische als Hochsprache auf allen Gebieten des Lebens und in jeder Schicht großen Einfluß. Durch die Überdachung der ungarischen Hochsprache, durch verschiedene Stufen der Doppelsprachigkeit, stehen unsere Mundarten vor einer sprachlichen Umschichtung.
Aus: Manherz, Karl: Sprachgeographie und Sprachsoziologie der deutschen Mundarten in Westungarn. Budapest 1977, S. 18 ff.
Karte 2. Aus: Hutterer, Claus Jürgen: Das Ungarische Mittelgebirge als Sprachraum. Halle 1963. Karte 2. |
Die Eindeutschung des Mittelgebirges erfolgte in zwei zeitlich getrennten Etappen. Die erste Etappe wurde vermutlich um das 10. Jahrhundert eingeleitet, und sie dauerte in verschiedenen Nachschüben deutscher - nach den Urkunden vor allem bairischer - Kolonisten bis um das 15./16. Jahrhundert an. Das Hauptgewicht scheint dabei auf der städtischen Kolonisation gelegen zu haben.
Die nach 1526 einsetzende türkische Eroberung bzw. die 150 Jahre lange Türkenherrschaft hat die Landschaft verödet. Die Kontinuität der deutschen Siedler konnte - geschichtlich und mundartlich - nur in Deutschpilsen und Lorenzen im Pilsner Gebirge mit Sicherheit festgestellt werden. In Lorenzen ist die Umvolkung zugunsten des Ungarntums erst im vorigen Jahrhundert erfolgt; Deutschpilsen hat seine Mundart bis heute bewahren können.
Die zweite Etappe der deutschen Besiedlung des mittelungarischen Gebirgsraumes fällt mit den großen Kolonisationsaktionen im ehemaligen ungarischen Hoheitsgebiet (Banat, Batschka, Schwäbische Türkei, Sathmar usw. ) zusammen. Diese nachtürkische Besiedlung hatte im Arbeitsbereich wiederum zwei Wellen: zuerst kamen die Schwaben, die meistens entlang der Donau nach Süden weiterzogen und nur spärliche Reste zurückließen, und erst dann setzte die bairische Kolonisation ein, die das heutige Bild der Landschaft endgültig ausformen und bestimmen sollte. Die Besiedlung wurde ersichtlich von mehreren Siedlungskernen aus in Angriff genommen, und bis um 1800 war der heutige Stand im großen und ganzen erreicht. Nach 1800 wurden nur noch Binnenflächen ausgebaut (so hauptsächlich durch Rodung im Buchenwald) bzw. Außensiedlungen angelegt.
Die Besiedlung trug einen fast ausschließlich privaten Charakter, was für die spätere Entwicklung von großer Bedeutung war, einerseits durch den Bezug deutscher Kolonisten aus kleineren Landschaftseinheiten in Deutschland und Österreich, andererseits durch die Ansiedlung dieser Kolonisten innerhalb der eigenen Besitztümer. Hinzu traten allerdings schon in der Ansiedlungszeit Binnenwanderungen der Siedler, welcher Umstand der Sprachforschung gewisse methodologische Neuerungen aufzwingt. Den staatlichen Verwaltungsgesetzen kam weder in der Siedlungs- noch in der Sprachgeschichte eine Rolle zu.
Als stärkste Faktoren in der Sprachentwicklung nach der Ansiedlungszeit haben sich die natürlichen Landschafisgrenzen erwiesen. Im Untersuchungsgebiet war die Gliederung der Landschaft für die Sprachraumbildung auf Grund des Binnenverkehrs wichtiger als die Herrschaftsgrenzen.
Karte 3. Aus: Hutterer, Claus Jürgen: Das Ungarische Mittelgebirge als Sprachraum. Halle 1963. Karle 45. |
Es lassen sich zwei ausschlaggebende Siedlungskerne erkennen: das Ofner Berglandim Ostabschnitt und der innere Buchenwaldim Westabschnitt. Die Ofner Siedelbahn ist im Sprach-und Namengut sowie im Brauchtum gut zu verfolgen. Hier erfolgte der Landesausbau in Ost-West-Richtung, wobei sich der Ofner Vorstoß auf kleinere mundartverwandte Siedlungshorte im Donauwinkel und im Schildgebirge stützen konnte, im Südwesten vor allen Dingen wahrscheinlich auf das Entgegenkommen des früh angelegten und an sich starken Moor, das sich jedoch dem Süden gegenüber als Siedlungskern nicht mehr frei zu entfalten vermochte.
Im Westabschnitt des Mittelgebirges ging ein in seinen großen Zügen ähnlicher Prozeß vor sich. Die Besiedlung nahm hier allerdings des öfteren die Form eines Ausbaues von innen nach außen an, indem sich im Strahlungsbereich der Zirt^er Kernlandschaft eine Reihe kleinerer Siedel- und Sprachhorste entfaltete. Dieser Entfaltung schlossen sich die wichtigen Süd-Nord-Bewegungen im westlichen Buchenwald (Wesprimer Hochfläche-Jakau-Deutschtewel) an.
Als wichtigste geographische Grenzen der Teillandschaften innerhalb des Gesamtgebietes haben wir die Moorer Senke zwischen Ost- und Westabschnitt, ferner die Einschnitte im Norden (a. zwischen Ofner Bergland und Donauknie bzw. Donauwinkel; b. Totiser Senke) und im Süden (Wesprimer Hochfläche) ermittelt. Der Sprachausgleich folgt - freilich nicht überall gleichmäßig - größtenteils diesen naturbedingten Trennungslinien.
Zur Sprachgeschichte
Das Ungarische Mittelgebirge gliedert sich nicht nur geographisch, sondern auch sprachlich in einen Ost- und einen Westabschnitt, die durch die Moorer Senke getrennt sind. Der Ostabschnitt (nördlich der Moorer Senke) wurde in seiner Sprachentwicklung von dem Ofner Kulturraum [OfnerBergland) gestaltet und ziemlich gut ausgeglichen. Abseits stehen nur Deutschpilsen und die Sendemer Gruppe im Norden, Tax und das Unterdorf von Harost im Süden sowie die protestantischen Streusiedlungen Iklad und Kreßtur im Norden. Zwischen Sendemer Gruppe, Ofner Bergland und Donauwinkel liegen Sebegin, Großmarosch, Kleinmarosch und Bogdan, die ihren besonderen Ausgleich den rheinfränkischen Siedlern und einer dünneren donaubairischen Kolonistenschicht bzw. einer donaubairischen Durchdringung verdanken. Dasselbe gilt von dem Tscholnoker Horst im Donauwinkel, wo aber der verkehrsbedingten bairischen Durchdringung eine noch größere Bedeutung zukommt.
Gewissermaßen eigenständig sind innerhalb des weiteren Ofner Berglandes die Stadt Ofen, die mit Pest als sprachliches „Relais" der ostdonaubairischen (Wiener) Verkehrssprache gewirkt haben, ferner Schorokschar, dessen Mundart zu den Schwaben in Tax und im Unterdorf von Harost hinüberführt, und die Tschepeler-Insel, Großturwall und Orasch, ja z. T. auch Werischwar.
Westlich des Ofner Berglands liegt der Donauwinkel, der als typische Übergangslandschaft vielfach gestaffelt erscheint. Über den Anschluß an das Ofner Bergland bei Dorog hinaus ergeben sich hier als wichtigste zusammenhängende Gruppen Plintenburg-Tat-Sattel-neudorf im Norden, ferner die übrigen Ortschaften nördlich und östlich von Tbtis, wobei als Restschollen Schütting, Bay, Tolnau und Untergalla ausscheiden.
Staffelung und Überschichtung kennzeichnen auch das Schildgebirge, das, die donau-bairische ui-Gruppe im Westen (Kirne, Kätschkä, Schemling und Pußtawahn) und im Osten (Gant) sowie die fränkischen Reste an der Ostflanke (im Welenzer Gebirge) abgerechnet, die schärfsten Grenzlinien gegen den Süden, d. h. den Westabschnitt, behauptet.
Der gesamte Ostabschnitt wurde von der donaubairischen »»-Mundart geordnet, die sich — da die deutsche Hochsprache außerhalb der gestaltenden Kräfte blieb — als Trägerin der ostdonaubairischen Verkehrssprache auch den Fränkischen und Schwäbischen gegenüber durchsetzen konnte. Ofen und Pest haben zu diesem Prozeß nur bis um die Jahrhundertwende als Vermittler zwischen Wien und den einzelnen Ortsmundarten beitragen können: seit der damals erfolgten Umvolkung vermitteln sie ungarisches Sprachgut an die Dörfer der Umgebung.
Mittelpunkt des Westabschnitts (südlich der Moorer Senke) ist geographisch wie siedlungs-und sprachgeschichtlich Zirtz. Von Zirtz aus bedingt und von wichtigen Süd-Nord-Strömungen im westlichen Buchenwald unterstützt erscheint der Ausgleich im ganzen Westabschnitt unter der Ägide der donaubairischen ui-Mundart. Im Norden bildet die kleine, aber sehr lebensfähige Gruppe um Ißzimmer in vieler Hinsicht den Übergang zum donaubairischen Ostabschnitt. Viel selbständiger sind die donaubairischen »»-Mundarten im Nordwesten bzw. im Südwesten, die jedoch - besonders im Südwesten - wiederum vielfach gestaffelt sind. Die bairischen Dörfer der Wesprimer Hochfläche bilden eine Brücke von der Zirtzer Kernlandschaft zu den Rheinfranken auf der Wesprimer Hochfläche, die sich ihrerseits durch Großwaschon mit dem südfränkischen Plattenseeoberland verbinden lassen.
Im Südwesten heben sich besonders Kolontar und Sötz, ferner Urkut von den übrigen bairischen Dörfern ab. Urkut ist dabei als das einzige donaubairische un-Dotf im ganzen Westabschnitt, Kolontar hingegen als eine stark südbairisch anmutende ui - Mundart von besonderem Interesse.
Als Fernsiedlungsergebnisse lassen sich Beritschke, Erwin und die Außensiedlungen Kaposfő, Loischkomorn und Herzogendorf erklären. Dieselben Grundlagen sind auch bei Berzel und Hartingen südöstlich der ungarischen Hauptstadt im Verhältnis zum Ofner Bergland zu vermuten.
Unsere Ergebnisse zusammenfassend, können wir also feststellen, daß im Ungarischen Mittelgebirge ein dialektgeographisch musterhaft gegliederter deutscher Sprachraum vor uns steht. Dieser Sprachraum wurde von den Baiern bestimmt. Die nichtbairischen Gruppen konnten sich eigentlich nur in den Randzonen schlecht und recht behaupten.
In der Sprachentwicklung im Mittelgebirge, die von Anfang an in den Bahnen der ostdonaubairischen Verkehrssprache verlief, kam — neben den aus dem Altland mitgebrachten inneren — den äußeren Triebkräften, die vornehmlich geographisch bzw. verkehrsbedingt sind, eine noch größere Rolle zu. Die sprachräumliche Gliederung erscheint letzten lindes siedlungsbedingt, aber der Ausgleich zweiter Stufe wurde von Verkehrsfaktoren im engeren und weiteren Sinne bestimmt.
Die Raumordnunghat für Sprachinseln dieselbe Bedeutung wie im Mutterland. Deshalb mußten wir von der Schmidtschen Auffassung, die die Möglichkeit der Sprachraumbildung im Mittelgebirge in Bausch und Bogen verwarf, Abstand nehmen.
Auch die Zeitgebundenheit der Sprachentwicklung ließ sich gut verfolgen. Neuerungen setzen sich im Kolonialgebiet im allgemeinen ziemlich rasch durch. Wichtig ist dabei, daß es sich fast ausschließlich um Bauernsiedlungen handelt. Wo die Sprache altertümlich bleibt, ist es nicht dem Beruf zuzuschreiben, wie es von manchen Forschern (z.B. Kranzmayer) angenommen wird, sondern in erster Linie der entlegenen geographischen Lage bzw. in unseren Sprachinseln der fortschreitenden Assimilation, die das Deutsche hinter dem Ungarischen vielerorts schon in die Alters- oder sogar Erinnerungssprache hinaufrückt.
Neben der horizontalen besteht im Arbeitsgebiet auch eine vertikale Schichtung der Mundarten, die teils berufs-, teils bildungsbedingt ist. Die Berufssprachen schmiegen sich der Raumordnung stärker an als die bildungsbedingten Sprachvarianten. Sie spielen in der allgemeinen Sprachentwicklung nur eine Rolle, soweit ihre Träger — vor allem Weidmänner und Bergleute — Lautstruktur und Grammatik ihrer angestammten Mundart in weite Gegenden mit sich führen und in dieser Weise von jeher den Ausgleich einzelner Ortsmundarten fördern. Bildungsbedingt erscheint die Sprache der Städter, soweit sie sich noch des Deutschen bedienen und die der gebildeten Schicht auf dem Lande.
Konfessionelle Unterschiede hielten zwei Siedlungen von der Gesamtentwicklung ganz fern, während sie sich in einer Ortschaft nur in einigen primären Merkmalen sowie im Wortschatz beobachten ließen. In der einzigen mittelalterlichen deutschen Gemeinde, wo die Reformation eine einheitliche Mundart vorfand, sind keine Unterschiede zu vermerken.
Bei der Herkunftsbestimmung fremdsprachiger Einflüsse trat das Problem der Artikulationsbasis in den Vordergrund. Es wurde die Erfahrung gemacht, daß die Artikulation der fremden Sprache nur dort restlos übernommen wird, wo zwischen der Artikulation der Fremdsprache und der eigenen Mundart kein Wesensunterschied besteht, was höchst selten und nur zufallig vorkommt. Aus der Vernachlässigung dieser Tatsache stammen viele falsche Hypothesen über die Herleitung mancher Wörter unmittelbar aus dem Ungarischen, die eigentlich als eingedeutschte Lehnwörter noch aus dem Ausland mitgebracht worden waren.
Karte 4. Deutsche Mundarten in der Schwäbischen Türkei (nach J. Weidlein) |
Im eigenständigen Sprachleben des Untersuchungsgebietes ist zwar der erste Faktor unter den Grundlagen sprachlicher Raumbildung die Besiedlung, aber dem später einsetzenden Verkehr, der die äußeren Triebkräfte der Sprachentwicklung umspannt, kommt eine gleich große - oft eine größere - Bedeutung zu. Unter den Formen des Verkehrs erweist sich die Ehegemeinschaft als die weitaus wichtigste. Alle übrigen Formen wie Kirchen-, Wallfahrts- und Marktgemeinschaft u. ä. werden für die Sprachentwicklung erst dann aus potentiellen zu wirklichen Bindungen, wenn sie das biologische Ineinanderwachsen der kleineren Einheiten herbeiführen, d. h., soweit sie mittels Eheschließungen zur Siedlermischung unter den einzelnen Ortschaften beitragen. Die Realisationsformen des Verkehrs im engeren Sinne sind dieselben wie im Altland.
Ein Vergleich der laut- und der wortgeographischen Darstellung ergibt, daß man auch in Sprachinseln zwischen Laut- und Wortgrenzen vielfach zu unterscheiden hat, d. h., daß man Lautwandel und Wortverdrängung auch im außerdeutschen Sprachraum nicht durcheinanderbringen darf.
Im Hinblick auf die deutsche Sprachinselforschung im allgemeinen muß festgestellt werden, daß die Vorgänge, der Sprachentwicklung auch außerhalb des geschlossenen Sprachgebietes, d. h. in den deutschen Sprachinseln sprachräumig bzw. sprachraumbil-dend sind. Somit dürfte also die Erforschung deutscher Sprachinseln von der gesamtdeutschen Mundartforschung weder methodologisch noch grundsätzlich getrennt werden. (Aus: Hutterer, Claus Jürgen: Das Ungarische Mittelgebirge als Sprachraum. Halle/Saale 1963, S. 493 ff.)